Wissenschaft als Spiel und Theorie als Werkzeugkasten. Der Wissenschaftler Sacha Szabo

„Unterhaltungswissenschaft. Eine Wissenschaft von der Unterhaltung, die unterhält.“
Wissenschaft als Spiel und Theorie als Werkzeugkasten. Der Wissenschaftler Sacha Szabo

Freiburg, 15.11.2011

Der Freiburger Soziologe Dr. Sacha Szabo untersucht Vergnügungswelten vom Oktoberfest bis zum Ballermann, aber auch vor den Schlümpfen oder vor Playmobil macht seine Forschung keinen halt. So hat er schon für Zeitschriften die Motivation Luftpolsterplastikfolien zu zerdrücken untersucht. Sacha Szabo selbst versteht sich als Unterhaltungswissenschaftler und arbeitet in dem Netzwerk Institut für Theoriekultur. In unserem Gespräch gibt er Auskunft über die Motivation, diese für die Wissenschaft ungewöhnlichen Themen zu bearbeiten.

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Kann man Unterhaltungswissenschaft studieren?

Sacha Szabo: Von Haus aus bin ich Kultursoziologe und habe Germanistik, Philosophie und Soziologie studiert. Ich habe mich schon während meines Studiums gefragt, warum die Wissenschaft der Populärkultur eher abgeneigt ist und dies umso mehr, als dass ja die Populärkultur, die Kultur ist, die uns alltäglich umgibt. Unterhaltungswissenschaft versteht sich daher als eine Methode, diese Phänomene angemessen zu bearbeiten und wir nutzen Theorien wie einen Werkzeugkasten.

Was macht diese populärkulturellen Phänomene denn so besonders?

Sacha Szabo: Unsere Beobachtung ist, dass viele Alltagsgegenstände durch die Beschäftigung mit Ihnen den Nutzer in eine Welt jenseits des Alltags entführen. Dies sind Wurmlöcher ins Außeralltägliche. Der Psychologie Mihalyi Cskizszenmihalyi beschrieb dies als „Flow“. Für uns ist nun das Set und das Setting dieses Kurztrips ins Außeralltägliche – im Übrigen ein Begriff von Max Weber – interessant. Wobei wir schon jetzt sagen können, dass jeder Gegenstand eine andere Erlebnisdimension ermöglicht. Daher erklärt sich das breite Spektrum an Untersuchungsgegenständen

Was sind denn konkret ihre Untersuchungsobjekte?

Sacha Szabo: Ausgegangen sind wir von Artefakten, also Dingen, die von Menschen gemacht werden und zeigen, dass diese erwiesenermaßen seelenlosen Dinge auch etwas zu erzählen haben, indem Sie uns an den Sinnursprung teilhaben lassen, aus dem sie sich herausbilden. Über unsere Beschäftigung mit der kontemplativen Wirkung von Sammlungen kamen wir zu Aquarien und deren beruhigender Wirkung. Hier kann man jetzt nicht mehr nur sagen, dass es Artefakte sind. Also haben wir den Begriff des Phänomens gewählt. So wurden besonders Großveranstaltungen, die dazu noch die Besonderheit haben, viele Menschen auf einmal in eine Außeralltäglichkeit zu entführen, ein zentrales Thema. Aber auch hier zeigte sich, dass auf einem Großfest vielen unterschiedliche „Welt-Fluchten“ angeboten werden, je nach Alter und Konstitution. Letztlich müssen wir natürlich einräumen und attestieren, dass der Experimentator oft ein Teil seines Experiments ist und uns unsere Forschung oft „flasht“

Wie wird man „Kirmesexperte“ oder „Achterbahnforscher“?

Sacha Szabo: Die Kirmes ist wohl einer der prominentesten profanen Orte, an dem das Bedürfnis des Menschen sich aus dem Alltag zu transzendieren kultiviert ist. Ich ging eher zufällig über einen Jahrmarkt und fragte mich, was das ist. Leute, Musik, bunte Lichter, riesige komplexe Maschinen und der Sinn des Ganzen? Lust zu vermitteln. Dieses Thema wurde dann zu meinem Promotionsthema, im Rahmen dessen ich Dutzende von großen und kleinen Festen besucht habe und Hunderte Fahrgeschäfte ausprobierte.

Und wie kommt man von dort zum Ballermann?

Sacha Szabo: Bei den Forschungen zeigte sich, dass diese Feste, ja das auch die modernen Feste noch in der mittelalterlichen Kirch-Messe, daher auch der Begriff der Kirmes, gründen. Dass bestimmte Ritualformen, dass bestimmte Techniken entlehnt wurden, profanisiert, potenziert und nun dazu dienen, den Mensch in eine Außeralltäglichkeit zu „kicken“. Beim Ballermann haben wir es nun mit einem Fest zu tun, dass gerade am Entstehen ist, es ist sozusagen der Urknall eines Festes und nun ist die spannende Frage, welche Elemente wir in dieser Ursuppe lokalisieren können.

Wie entsteht ein Fest?

Sacha Szabo: In unserer Arbeit zum Ballermann standen wir vor dem Dilemma, dass heutzutage alles als Party bezeichnet wird, wir aber keine Definition von Party vorfanden. Also haben wir ein Kreuzraster von Fest – Feier – Ritual – Spiel erstellt. Dies sind unserer Auffassung nach die vier Elemente, in denen man solche Ereignisse einordnen kann. Das Fest ist das relativ ungeordnete Erlebnis einer Gemeinschaft. Wohingegen sich bei einer Feier die Gesellschaft ihrer selbst versichert – man denke an den Nationalfeiertag. Diese beiden Formen können nun jeweils eher aufgrund von Ritualen, die Teil der kirchlichen Liturgie entlehnt sind, strukturiert werden oder sie sind völlig frei. Dann haben sie eher den Charakter eines ergebnisoffenen Spiels. Beim Ballermann konnten wir zeigen, dass es sich um ein Fest handelt, wobei es auch dort bestimmte Rituale und Zitate aus dem Bereich des Sakralen gibt, die dazu dienen, eine Gemeinschaft zu bilden. Genau dies ist wiederum die zentrale Markenbotschaft der Ballermanninhaber, nämlich die Inszenierung und das Erlebnis einer Gemeinschaft.

Und was hat das mit Werbung zu tun?

Sacha Szabo: Gute Werbung kann nur etwas vermitteln, das da ist. Da dieses aber oft unterschwellig ist, hilft uns die Werbung, einen Blick auf den Code zu werfen, den ein Produkt transportiert. Gerade beim Ballermann sehen wir, wie eng eine Erlebnisnachfrage und ein Erlebnisangebot miteinander verbunden sind, so dass gar nicht klar wird, was zuerst da war. Aber mit Hilfe der transportierten Botschaften können wir, wie etwa beim Ballermann, eine zentrale Botschaft entschlüsseln. Und nein, sie lautet nicht „trinken bis zum Umfallen“, sondern Gemeinschaft erleben. Sie reagiert damit auf die Vereinzelung der Individuen in der fortgeschrittenen Moderne, die nun in solchen posttraditionalen Veranstaltungen Gemeinschaft konsumieren.

Zum Schluss verraten sie uns doch noch, was ist das Institut für Theoriekultur?

Sacha Szabo: Das Institut wurde anfangs als ein Verein gegründet, es war sogar gemeinnützig, aber es wurde recht schnell deutlich, dass wir in bürokratischen Strukturen nur sehr unflexibel reagieren können und an viele Abstimmungsprozesse gebunden sind, die uns eher blockierten. Daher lösten wir den Verein auf und agieren nun als Netzwerk von Wissenschaftlern und Kunstschaffenden, die lose miteinander verbunden sind und sich jeweils für ein Projekt zusammenschließen. Damit das organisatorisch kommuniziert wird, habe ich die Leitung übernommen. Wir geben beispielsweise regelmäßig die Schriftenreihe Studien zur Unterhaltungswissenschaft heraus und dort kann man den Anspruch an uns selbst erleben, dass wir nämlich eine Wissenschaft von der Unterhaltung als unterhaltende Wissenschaft verstehen. Sie merken, wir meinen es ernst mit der Idee, dass die Wissenschaft für uns ein Spiel ist.

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Zur Person:

Dr. Sacha Szabo, (geb. 1969) studierte Germanistik, Philosophie und Soziologie und schloss mit dem Magister ab und promovierte anschließend über Vergnügungswelten wie Kirmes und Jahrmärkte. Aus dieser Forschung sind viele Ableger entstanden, wie etwa das aktuell erschienene Buch über den Ballermann. („Ballermann. Das Buch. Phänomen und Marke“). Es sind besonders die Alltagsgegenstände und die Alltagsphänomene die es Szabo angetan haben. So entstanden auch Arbeiten über Spielzeug, Computerspiele oder Filme. Er hatte mehrere Lehraufträge an der Universität Freiburg inne und leitet gegenwärtig das Institut für Theoriekultur, Freiburg, ein loses Netzwerk von Kulturschaffenden. Mit seinem profunden Wissen über Alltagskulturen und deren Sinndimensionen ist er ein gefragter Gesprächspartner für Funk und Fernsehen.

Publikationen (Auswahl)

„“Sascha Arschloch“ Leben und Werk des Lyrikers Sascha Anderson (2002), „“Fahrchips. Das Spielgeld der Kirmes“ (2006), Rausch und Rummel. Attraktionen auf Jahrmärkten und in Vergnügungsparks. Eine soziologische Kulturgeschichte (2006). Gruß aus dem Luna-Park (2007), Kirmes, Jahrmarkt und Volksfest im Spiegel historischer Postkarten. Ein kulturgeschichtlicher Streifzug (2007), Unterhaltungswissenschaft. Populärkultur im Diskurs der Cultural Studies (2008), Kultur des Vergnügens: Kirmes und Freizeitparks – Schausteller und Fahrgeschäfte. Facetten nicht-alltäglicher Orte (2009), Brand Studies: Marken im Diskurs der Cultural Studies (2009), Vom Kulturpark Berlin zum Spreepark Plänterwald (2011)

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Pressekontakt
Institut für Theoriekultur
Tel.: 0157/ 82260601
Mail: szabo@institut-theoriekultur.de
Web: www.institut-theoriekultur.de

Theoriedienstleister/Theorieinstallateur.
Wir werben für eine Wissenschaft von der Unterhaltung, die gleichermaßen unterhält. Unsere Forschungen behandeln Alltagsartefakte und Alltagsphänomene. Im Rahmen unserer Arbeit übernehmen wir auch Aufträge zum Theoriedesign und Theorieconcepting. Dies betrifft die wissenschaftliche Erarbeitung eines Produkts oder einer Dienstleistung bzw. eines Unternehmens. Dazu gehören Publikationen, Workshops und Kongresse. Also das komplette Spektrum einer Theorieinstallation. Allerdings machen wir keine Werbung, sondern lassen uns nur sponsern, um die wissenschaftlich Objektivität unserer Ergebnisse zu gewährleisten. Wer also Werbung will, ist bei uns an der falschen Adresse, wer aber etwas zur UnternehmensKULTUR sucht, der ist bei uns genau richtig. Sie suchen Geist, wir haben ihn!

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